Noch nicht da, wo ich sein will, aber auch nicht mehr da, wo ich mal war.
Was am 6. Dezember 2021 begann, ist noch immer nicht vorbei – im schlimmsten Fall, wird es mein ganzes Leben begleiten. Doch malen wir den Teufel nicht (mehr) an die Wand. Der Heilungsprozess hat grosse Fortschritte gemacht, und das alles in einer relativ kurzen Zeit. Nach der 3. Rehabilitation dauerte es nur wenige Wochen, und ich konnte nach einer Phase von «Gelähmt > Rollstuhl > Rollator > Gehhilfe» schnell wieder GEHEN.
Aber fangen wir von vorne an. Eine Kurzfassung.
Was ist passiert?
Ende November kamen die typischen Symptome: Kribbeln in den Händen, Empfindungsdefizite, Muskelschwäche etc. Ich habe es anfangs noch als Stresssymptome abgetan, aber als ich am Wochenende vor dem 6.12. nicht mehr richtig laufen konnte, war es Zeit für den Notfall. Und so startete die Odyssee …
Nach diversen Untersuchungen im Kantonsspital, folgte nach wenigen Tagen die Diagnose: Guillain-Barré-Syndrom (GBS). Und anschliessend die erste Behandlung mit Privigen ( Immunglobulin). So eine Infusion dauerte jeweils 5 Tage und 4–5 Stunden. Danach durfte ich nach 2–3 Tage der Beobachtung im Spital gleich in die Reha-Klinik Valens. Das blöde: Die Immunglobin-Therapie führte bei mir nicht zum erwünschten Erfolg. In der Reha bekam ich nach wenigen Tagen Rückfälle und mein Zustand verschlimmerte sich zusehend. Das Ende vom Lied: Nach dem dritten Rückfall konnte ich nicht mehr Laufen, meine Muskeln waren gelähmt oder so schwach, dass ich zeitweise gefüttert werden musste. Auch die Atmung war eingeschränkt … aber Gottseidank war sie nicht so schwach, dass ich hätte beatmet werden müssen. Ich lag einmal auf der Intensiv- und zweimal auf der Überwachungsstation. Ein Erlebnis, dass man nicht noch mal durchleben muss.
Die dritte Infusionstherapie wurde abgebrochen, und der letzte Schritt wurde eingeleitet: Es wurde mittels Operation ein permanenter Katheter für die Plasmapherese durch die rechte Brust in die Halsvene gelegt. Der Rhythmus für die Behandlung fing mit zwei Mal wöchentlich an und liegt aktuell bei allen sechs Wochen. Wöchentlich Katheter spülen und Verband/Pflaster wechseln in der Dialyse.
Aktueller Stand
Im Moment sieht es so aus, dass ich wieder «normal» gehen kann. Sogar etwas joggen, aber die Kondition erlaubt nicht viel (max. 2km). Die Fusssohlen samt der Zehen fühlen sich steif und verkrampft an. Die Kraftwerte für Beine, Arme und Hände sind wieder auf Normalniveau. Die Sensibilitätsstörungen in den Füssen sind nach wie vor präsent, und je nach Tagesform, Temperatur und Anstrengung störend. Aber will mich nicht beschweren. Ich nehme nur noch einen Bruchteil der Medikamente, die anfangs nehmen musste. Aktuell noch 2.5 mg Kortison und 25 mg Pregabalin (gegen die Nervenschmerzen). In 14 Tagen bin ich das Kortison los … bin aber immer noch müüüüde.
Die Zukunft
Das Ende der Reise könnte folgendermassen sein: Nächste Woche der letzte Besuch in der Dialyse zur Blutwäsche und danach die Entfernung des Katheters. Das HappyEnd wäre: Keine Rückfälle oder schwerwiegende Schübe.
Das wäre mein (unser) Wunsch!
Der «Worst Case» wäre die Version CIDP – die chronische Form des GBS’, mit samt seinen Unannehmlichkeiten. Ändern kann ich es nicht. Ich muss es (an)nehmen, wie es kommt.. Harren wir der Dinge, die da kommen werden …
PS: Die Kurzfassung ist wirklich kurz. Ein Zeitraffer von drei Monaten. Dazwischen lag viel Zeit, in der ich es echt schwer hatte und nicht mehr wollte. Der Seelsorger, der Psychologe, Pflegerinnen und die Freundin hatten es nicht leicht. Man muss es sich mal vorstellen, dass man von heute auf morgen aus dem Leben gerissen wurde, 2–3 Personen einen aus dem Bett in den Toilettenstuhl oder Rollstuhl hieven müssen, man in keinster Weise mit den Beinen Unterstützung leisten kann. Man ist ausgeliefert. Toilettengang, Duschen, Waschen, Zähneputzen … selbst Haare kämmen war nicht machbar. Wenn du trotz zweifacher Unterstützung du vor dem WC zusammenbrichst oder dich die eigene Tochter füttern muss, weisst du, wie spät es ist. Ich habe in knapp vier Wochen über 20 kg abgenommen und aktuell circa 25 kg wieder zugenommen. Die Höhen und Tiefen, die der Körper und die Psyche mitgemacht haben, waren einschneidend. Acht Wochen lang jeden Abend Thrombosespritzen … sie wussten schon gar nicht mehr, wohin spritzen. In den Hochzeiten konnte ich vor Schmerzen nicht liegen und man musste mich teils alle Stunde wenden. Schlafen war eine Tortur. Kleines Geschäft und Waschen nur noch im Bett. Gehen lernen, Schreiben lernen … Ohne meine Familie hätte ich es nicht so schnell geschafft. Meine Freundin war gefühlt jeden Tag im Spital und oft in der Reha (Corona-Besuchsverbot). Das gab mir Kraft. Bekannte und Fremde wurden zu Freunden. Freunde wurden zu Fremden …
Ich habe beschlossen, die 3 Monate noch einma hierl in Bild und Text zu verarbeiten, um alles noch einmal zu reflektieren. Hierarchie erfolgt dann nach Originaldatum.
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