Heute, am 7. Oktober, jährt sich ein Tag zum 75. Mal, den die ältere Generation im Osten Deutschlands gut kennt: der Tag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik. Für die einen war es der Beginn eines sozialistischen Experiments, das grosse Visionen verfolgte. Für die anderen ein Leben hinter einer Mauer. Wie so oft liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.
Ich bin ein Kind der DDR, aufgewachsen in einem Land, das anders war, aber auch viele Vorzüge hatte – zumindest für jene, die sich mit dem System arrangierten. Das Leben war in vielerlei Hinsicht klar geregelt: Schule, Arbeit, Freizeit. Es gab eine nahezu lückenlose Versorgung mit dem Notwendigen, und soziale Sicherheit war kein leeres Versprechen. Jeder hatte das Recht auf einen Arbeitsplatz, eine Wohnung und medizinische Versorgung. Diese Grundsicherung nahm den Menschen Ängste, die viele heute kennen: Arbeitsplatzverlust, unerschwingliche Mieten oder die Sorge, dass die Krankenkasse bestimmte Leistungen nicht übernimmt. Diese Probleme waren damals unbekannt.
Natürlich gab es in der DDR keine Kluft zwischen Arm und Reich, wie wir sie heute in vielen Gesellschaften sehen. Der Wohlstand wurde gleichmässig verteilt, was jedoch auch dazu führte, dass es kaum Raum für aussergewöhnliche Lebensentwürfe gab. Wer mit dem Auto durch die Städte fuhr, sah dieselben Trabants und Wartburgs – ein Zeichen dafür, dass der Neid auf den Nachbarn kein Thema war (es gab Aussnahmen: Kader, Ärzte mit Skoda, Lada und Fiat). Eine Einheitlichkeit, die für manche beruhigend, für andere erdrückend wirkte.
Doch diese Vorteile kamen nicht ohne Preis. Aufmüpfigkeit wurde nicht geduldet, und wer sich zu weit aus dem Fenster lehnte, merkte schnell, wie die Maschinerie der Überwachung und Repression funktionierte. Kritische Stimmen wurden mundtot gemacht, und für viele Künstler, Intellektuelle oder auch einfach nur Querdenker hiess es schnell: Berufsverbot, Gefängnis oder Flucht in den Westen. Die Stasi hatte ein engmaschiges Netz an Informanten und ein detailliertes Dossier über nahezu jeden Bürger. Wer keine Lust auf die FDJ oder den sozialistischen Unterricht hatte, wer den Wehrdienst verweigerte oder „staatsfeindliche“ Ansichten äusserte, fiel schnell in diese Kategorie. Und das bedeutete nichts Gutes: Schulverweise, schlechtere Jobchancen und gesellschaftliche Ächtung waren an der Tagesordnung.
Wenn ich heute an die DDR denke, kommen viele Erinnerungen hoch: an das Gefühl der Geborgenheit in einer überschaubaren Welt, die uns vormachte, dass sie gerecht sei. Aber auch an die vielen Einschränkungen, an die verordnete Gleichheit und die ständigen Widersprüche. Wir lebten in einer Welt, in der auf jeder Straße Parolen von „Frieden und Sozialismus“ prangten, während die Angst, etwas Falsches zu sagen, stets mitschwang.
Rückblickend ist die DDR aber auch ein trauriges Beispiel dafür, wie sich ein politisches Experiment langsam zu einem Spielball der beiden Grossmächte USA und Sowjetunion entwickelte. Die DDR – gegründet als Gegenmodell zum kapitalistischen Westen – war von Anfang an nicht mehr als ein Bauernopfer in einem globalen Schachspiel. Die politische und wirtschaftliche Abhängigkeit von Moskau machte es unmöglich, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Und während der Westen die Menschen mit glänzenden Konsumgütern lockte, wuchs der Frust im Osten über leere Regale und fehlende Perspektiven.
Schade nur, dass die Bonzen – die Oberen in Partei und Staat – es zu spät begriffen haben, dass das Experiment DDR am Ende marode und zum Scheitern verurteilt war. Dass sich die Menschen mit der Zeit mehr und mehr von der Ideologie entfernten und ihre eigenen Wege suchten. Letztlich war es auch der Russe, der am Ende war. Die Sowjetunion, selbst durch wirtschaftliche und politische Krisen gebeutelt, konnte die DDR nicht mehr stützen. Die Zeichen standen längst auf Veränderung, doch der eiserne Wille der alten Garde, am Status quo festzuhalten, liess das Land im Stillstand versinken, bis es endgültig zerbrach bzw. der Untergang hinter verschlossenen Türen beschlossen wurde.
Heute blicken wir darauf zurück und können nur erahnen, was es bedeutet, ein System komplett zusammenbrechen zu sehen, das man als Kind für die einzige Wahrheit hielt. Trotz allem bleibt ein Hauch von Nostalgie: für die Dinge, die wir verloren haben – und für die Lektionen, die wir daraus gelernt haben.
Ein Hoch auf die Erinnerung, auf die Fehler und auf die Erfolge. Denn auch wenn die DDR nicht wiederkommt, lebt sie in den Gedanken jener weiter, die sie erlebt haben – mit all ihren Facetten.
Euer Ossi
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