Die Idee hinter #UnplugTrump klingt im ersten Moment schlüssig: Sich von US-Softwarelösungen lösen, die unter einer politischen Führung stehen, die vielen als rückwärtsgewandt, populistisch oder sogar gefährlich gilt. Doch wenn wir ehrlich sind: Software zu wechseln ist einfach – Hardware und Infrastruktur zu meiden ist fast unmöglich.
Hardware: Das amerikanische Rückgrat
Ein kurzer Blick in die Realität zeigt: Die meisten der Geräte, auf denen wir unsere „europäischen Alternativen“ nutzen, kommen nicht nur physisch aus Asien, sondern gehören meist US-Konzernen:
- Apple: MacBooks, iPhones, iPads – designed in California, assembled in China.
- Intel, AMD, Nvidia: Die dominierenden Prozessor- und GPU-Hersteller – allesamt US-Unternehmen.
- Qualcomm: Smartphones? Fast immer mit Snapdragon-Chips aus den USA.
Selbst wenn man auf Hardware „Made in Taiwan“ (ASUS, Acer) oder „Made in China“ (Huawei, Lenovo) zurückgreift, bleiben oft US-Patente, Lizenzen und technologische Abhängigkeiten im Spiel. „Moralischer Konsum“ wird hier zur reinen Utopie.
Die Internet-Infrastruktur: Wer hält die Kabel?
Das meiste, was wir für selbstverständlich halten – schnelles Internet, sichere Verbindungen, globale Erreichbarkeit – basiert auf Infrastrukturen, die entweder von US-Unternehmen kontrolliert werden oder eng mit ihnen verzahnt sind:
- Cloud-Dienste: AWS (Amazon), Microsoft Azure, Google Cloud – selbst europäische Anbieter laufen oft auf dieser Infrastruktur.
- Backbone-Verbindungen: Ein Grossteil des globalen Datenverkehrs läuft über Leitungen und Knotenpunkte, die entweder US-amerikanisch sind oder von westlichen Allianzen dominiert werden.
- DNS-Server und Root-Zonen: Die Verwaltung liegt nach wie vor zu grossen Teilen in US-Hand.
Die unsichtbare Macht: Cisco und das Intra-Internet
Wenn wir von „Internet-Infrastruktur“ reden, denken viele an Cloud-Server oder vielleicht Glasfaserkabel. Doch das eigentliche Rückgrat des globalen Netzwerks liegt eine Ebene tiefer – bei der Hardware, die unsere Daten überhaupt erst weiterleitet. Hier spielt Cisco Systems eine zentrale Rolle.
Cisco: Der Internet-Schrittmacher
Cisco ist einer der größten Netzwerkausrüster der Welt:
- Router und Switches von Cisco transportieren einen Großteil des weltweiten Datenverkehrs – sowohl im öffentlichen Internet als auch in privaten Unternehmensnetzwerken.
- In Rechenzentren, Behörden, Finanzinstituten und kritischen Infrastrukturen (Energie, Gesundheit, Transport) sind Cisco-Systeme oft Standard.
- Auch Firewalls und Sicherheitssysteme von Cisco schützen Datenströme – oder steuern, wer Zugriff bekommt und wer nicht.
Kurz gesagt: Ohne Cisco läuft wenig im Netz. Selbst bei europäischen Internet-Providern und Backbone-Betreibern stehen oft Cisco-Systeme im Serverraum.
Das „Intra-Internet“: Abhängigkeiten, die keiner sieht
Viele sprechen vom „Internet“, aber meinen eigentlich das „Intra-Internet“ – die physischen Netzwerke und Verbindungen, auf denen das Internet aufbaut. Die Kabel, die Router, die Infrastruktur.
Hier ist der US-Einfluss extrem:
- Cisco, Juniper, Arista Networks – alles US-Firmen, die weltweit marktführend sind.
- Diese Hardware ist schwer zu ersetzen, nicht nur weil sie technisch hochentwickelt ist, sondern auch weil der Support, die Updates und die Sicherheitszertifizierungen an diesen Unternehmen hängen.
Was bedeutet das für #UnplugTrump?
Selbst wenn du jede US-App löschst, dein Google-Konto kündigst und eine europäische Cloud nutzt – die Bits und Bytes deiner Daten laufen mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Cisco-Hardware. Und diese Hardware wird nach US-Recht produziert, zertifiziert und lizenziert.
Selbst Spionagevorwürfe gab es schon: Cisco-Geräte sollen laut diversen Leaks Backdoors für US-Geheimdienste ermöglicht haben (siehe Snowden-Dokumente).
Die unbequeme Wahrheit
Ein „freies“, „moralisches“ Internet fernab von US-Hardware? Rein theoretisch.
Solange Cisco und Co. die Schaltzentralen der digitalen Welt bauen, bleibt Europa – und der Rest der Welt – strukturell abhängig.Wo bleibt da die Moral?
Wer also ernsthaft glaubt, sich mit einer neuen Suchmaschine oder Messenger-App „unabhängig“ zu machen, vergisst den grösseren Kontext: Die digitale Welt ist ein Konstrukt westlicher, insbesondere US-amerikanischer Machtstrukturen. Solange wir nicht auch Hardware und Infrastruktur neu denken – und realistisch gesehen, sind wir davon Jahrzehnte entfernt – bleibt #UnplugTrump ein symbolischer Akt.
Realismus statt Utopie
Das heisst nicht, dass solche Bewegungen sinnlos sind. Aber man sollte sie ehrlich betrachten:
- Sie können Bewusstsein schaffen.
- Sie setzen kleine Zeichen für Datenschutz und gegen Monopole.
- Aber sie ändern nichts am Fundament unserer digitalen Weltordnung.
Ein kompletter „Digital Detox“ von US-Interessen? Im Jahr 2025? Fiktion.
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Foto von Gleb Paniotov auf Unsplash